Wir schreiben das Jahr 1912, und irgendwo zwischen den Trümmern der alten Welt und der schweißnassen Geburt einer neuen Zeit steht Georg Kaiser mit einem Hammer in der Hand. Nicht nur, weil Nietzsche ihn inspiriert hätte, sondern weil das alte Drama - geordnet, aristotelisch, vorhersehbar - sterben musste. Was Kaiser da mit Von morgens bis mitternachts schuf, war kein Theaterstück im klassischen Sinne, sondern ein Schlag ins Gesicht des Publikums, ein Aufschrei, ein Chaos aus Symbolen, Sprüngen und Sinnlichkeit. Aristoteles? Tot. Lessing? Beerdigt. Die Zukunft? Offen, schmerzhaft, dionysisch.
Und Nietzsche, der Schatten, der sich durch diese groteske Inszenierung zieht? Wirth nimmt ihn sich vor - mit chirurgischer Präzision und einer Leidenschaft, die der Thematik angemessen ist. Nietzsche, der Apokalyptiker, der Tänzer, der ewige Widerspruch, wird in Kaisers Drama nicht nur zitiert, sondern zelebriert. Es ist ein Kampf zwischen Dionysos, der alles bejaht, und dem Gekreuzigten, der alles verneint. Ein Tanz auf dem Vulkan der Zivilisationskritik, wo jeder Schritt ein Abgrund ist.
Kaisers Stationendrama ist keine lineare Erzählung, sondern ein zerrissenes Puzzle, das nur diejenigen zusammensetzen können, die bereit sind, die alten Regeln zu vergessen. Wirth zeigt, wie Kaiser sich der mittelalterlichen Mysterienspiele bedient, wie er die Montage des Films antizipiert und wie er mit der Philosophie Nietzsches ein neues Fundament für das Drama legt. Es ist eine Revolution, und Wirth ist ihr Chronist - präzise, scharfsinnig, mit einem Blick fürs Detail und einem Gespür für die Abgründe.
Wirths Analyse zeigt, wie tief Kaisers Werk von Nietzsche durchdrungen ist. Der Dualismus zwischen Dionysos und dem Gekreuzigten wird zum Herzstück des Dramas, ein Konflikt, der sich in jeder Szene, in jeder Geste widerspiegelt. Es ist ein Theater der Extreme, ein Spiegel unserer eigenen Zerrissenheit, ein Versuch, Ordnung im Chaos zu finden oder zumindest im Chaos zu tanzen.
Wirth erklärt nicht nur, sondern er entlarvt. Er zeigt uns, wie Kunst, Philosophie und Wahnsinn miteinander verschmelzen, wie Kaiser und Nietzsche gemeinsam eine neue Bühne schaffen - nicht für die Unterhaltung, sondern für die Konfrontation.
Dieses Buch sprengt die Brücke zwischen Literatur und Philosophie sprengt und uns ins kalte Wasser der Moderne wirft. Wirth beweist: Theater ist kein sicherer Raum, sondern ein Schlachtfeld. Und Nietzsche? Der lacht, irgendwo da oben, oder vielleicht auch da unten.
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