Das gilt für die Männer, die in diesem Buch zu Wort kommen. Ihre Ansichten sind so individuell wie die Einblicke, die sie gestatten. Sie sind mal dankbar, mal traurig, zuweilen auch wütend und nachdenklich. Sie äußern sich offen, persönlich und mutig. Dabei befinden sie sich in einem unsicheren Such- und Findungsprozess. Und dennoch gelingt nahezu allen ein erfülltes Leben im Abschied, denn für sie heißt aufrecht sterben zu können, die eigenen Ideale nicht verraten zu haben, sich nicht von Widrigkeiten kleinmachen zu lassen und als der zu sterben, der man ist. Die Erzählenden möchten keine Rezepte für die Endlichkeit des Lebens anbieten. Doch Leser wie Leserinnen werden persönlich berührt und motiviert, nicht nur die eigene Vergänglichkeit und die damit verbundenen Wünsche, Sorgen und Hoffnungen zu erkunden und mitzuteilen, sondern darüber hinaus auch die der Nahestehenden zu erfragen
Mann und Tod - in dieses Thema bin ich 1961 in Hamburg hineingeboren worden. Meine Eltern, beide kriegstraumatisiert, ignorierten Schmerz, Angst, Trauer und Trost peinlich genau. Dabei trug mein Vater seine geliebten Toten und die schrecklichen Bilder des Krieges direkt unter seiner Haut. Unberechenbares führte ihn gedanklich-visuell in die Vergangenheit und ließ ihn außer sich geraten; dann wieder wirkte er unnahbar und versteinert. Ich liebte und bewunderte meinen stattlichen Vater sehr, der ein großer Geschichtenerzähler und Sänger war - und doch kaum erreichbar zu sein schien. Das ändere sich 1968, als plötzlich ein Freund von ihm, der mir sehr zugewandt war, starb. Ich war unendlich traurig. An dem Tag trösteten wir uns gegenseitig: Wir weinten eng umschlugen, sprachen offen über unsere Traurigkeit und den Tod. In diesen Momenten verwirklichte sich nicht nur die von mir ersehnte Nähe: Während mein Vater zuvor nie ganz anwesend war, so war er nun "vervollständigt", präsent und wurde für mich geistig und seelisch greifbar. Erfahrungen wie diese prägten mein Verhältnis zum Tod. Ich erlebe immer wieder, daß der Tod zu schwer für zwei Schultern wiegt und unbedingt die heilsame Gemeinschaft erfordert! Im Tod wohnt eine "dunkle und einsame Seite", in der Verlassenheit, Angst, Schmerz und Wut erlitten werden, aber auch eine "helle Seite", in der Offenheit, Halt, Trost und Verbundenheit über das Alltägliche hinaus möglich sind. Können beide Seiten gelebt werden, trägt der Tod die Chance zum Neubeginn in sich. Seit meinem Psychologiestudium engagiere ich mich haupt- und ehrenamtlich für Hochbetagte, tödliche Erkrankte, deren Angehörige und Trauernde. Mit meiner Arbeit möchte ich nicht nur den Einzelnen erreichen, sondern an gesellschaftlichen Entwicklungen mitwirken: Mitgefühl und Solidarität sollen sich zu einem hohen Gut entwickeln. In diesem Geist ist das Buch geschrieben. Ich widme es meinem kleinen Bruder Christof, der in diesem Buch keinesfalls seine eigene Geschichte erzählen wollte, um so dem Tod nicht in die Hände zu spielen. Am 17.01.2016 ist er verstorben. In mir lebt er weiter. www.abschied-begleiten.de
Martin Kreuels
Geboren 1969 am Niederrhein in Kevelaer, ging ich für mein Biologiestudium nach Münster (Westfalen). Dort traf ich meine Frau, wir heirateten und bekamen vier Kinder. Bis zum Jahr 2009 war ich Naturwissenschaftler durch und durch, ich versuchte, mein Leben rational zu führen und zu erklären. Nach einer zweieinhalb Jahre andauernden Krebserkrankung starb jedoch meine Frau in diesem Jahr und ließ mich mit den damals noch kleinen Kindern zurück. Die Naturwissenschaft gab mir fortan kaum noch Antworten auf meine Fragen. So wuchs in mir der Wunsch, mich mit Männern in ähnlicher Situation auszutauschen. Doch trotz intensiver Suche fand ich niemanden. Also beschloss ich, meinen Weg zu verändern und zu fragen, warum ich keine solchen Männer treffen konnte. Ich ging fort von der Biologie. Im Rahmen von Buchprojekten, zahllosen Gesprächen, Vorträgen in Hunderten Hospizen, endlosen Recherchen, der Gründung von Trauercafés, mehreren speziell zugeschnittenen Männersprechstunden mit vielen Gesprächen, Ausbildungen, Workshops und Seminaren im gesamten Bundesgebiet zeichnete sich für mich schließlich ein deutliches Bild ab, und ich bekam Antworten auf männliches Verhalten gerade in Zeiten der Trauer. Dieser Weg und die Suche dauerten zehn Jahre. Heute kann ich Antworten geben und mir so einen Teil meiner Fragen beantworten. Mit dem vorliegenden Buch möchte ich nun einen Schritt weiter gehen. Waren bisher die trauernden Männer Begleiter eines anderen Menschen, der gehen musste, stehen sie nun selbst an diesem Platz: Nun gehen sie. Was bewegt sie? Worüber denken sie nach? Diese Fragen waren einige der Beweggründe, an diesem Projekt zusammen mit Angela Reschke zu arbeiten. Und wie es für Projekte in diesem Bereich mit Männern üblich ist, vergingen darüber einige Jahre (Projektstart 2015). Nun haben wir einen ersten Punkt gesetzt. Wir sind neugierig, was passieren wird. www.martin-kreuels.de
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